eine Erinnerungspoesie zum Werk des Künstlers, auch Zugabe

 

Drittes Boot: Französische Gitter

Ist man beim Sozialismus zu Gast, oder wäscht man das Abendlicht von seinen Schenkeln, oder kommt man einfach kurz nach Hause, um vorübergehend zu verrecken, oder um einmal Traum und Zeit aus milchigen Kannen zu trinken, - all das und mehr ist Atemluft, aus der Bilder sind. Wenn der Künstler sich mit der École de Paris - wir sprechen von den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts - ins Bett legt, allen voran mit der igelstacheligen Künstlerin Marie-Hélène Vieira da Silva, die interessanterweise in meiner Jugendzeit auch von mir eine Geliebte war, sprechen wir von raufaserigen Matratzen, mit französischem Falschgeld gefüllt, sprechen wir von plätschernden Erinnerungsständchen vergangener Malernächte und allem voran von der Ernsthaftigkeit der Sucht nach Gitter, erkämpfter Verflechtungen, wir sprechen von Amors sieglosen Pfeilen, von geflochtenen Dornenstangen alternder Rosen. Netze aus Groschentagen nehmen Platz am Bildweiß, Senkrecht und Waagrecht begleiten uns wie Ausweg und Würgegriff, begleiten uns wie Handschrift vernetzten Stacheldrahts. Für mich sind die sogenannten Gitterbilder Nikolaus Schnetzers die herznächsten, und wir wissen, er hatte ja davon zumindest zwei. Angst und Not und der tägliche Kampf mit seinem Leben lässt sich in diesen Bildern schauen und lesen - sein Wasser, seine Sonne und sein Durst dazu.

Viertes Boot: Der gemalte Kopf

Wirkliche Vertreter der Kirche werden hier nicht begrüßt, der sprechende, kritische Blick, auf sich selbst gerichtet, dominiert hier. Die Pflicht des Künstlers, sich als ein Stück Film, als ein Stück Musik, als ein Stück Malerei und Sprache, als ein von Farben bedecktes Stück Fleisch, auf Knochen gewülstet, zu erkennen, ist seine Nachricht. Bedeutung zu geben und zu nehmen heißt, was Farbe will zu verstehen, die Künstlerhand greift in die Malzeiten des Hirns, man kann gleichzeitig Mutter und Vater sein, man kann sein Selbst sein und man kann zuletzt ein Porträt sein. Unerwartete Kraft zieht mit den Jahren in Nikolaus Schnetzers Porträtbildern ein, Strukturen und Oberflächen werden Fahrten zu Fragen und Fahrten zu Antworten. Das Gesicht wird zum Hotel, große und kleine Traurigkeit, manchmal auch Heiterkeit heißen die Zimmer.

Natürlich singen sie ewig: die Pinsel der Welt von heute, von gestern und morgen, und es gibt, so wie im Ping Pong-Spiel, auch einen Sieger. Es ist so, wie der Elefant auf der Ameise; einmal ist der Künstler der Elefant und einmal ist er auch die Ameise. Das Wunder liegt in der Berufung zum Künstler - so gesehen bleibt auch Nikolaus Schnetzers Werk bei uns. Einsamkeit wird zum Feierabend, zumindest des Juweliers.




Wien, im Jänner 2006

Christian Ludwig Attersee war von 1990 bis 2009 Professor für Malerei, Animationsfilm und Tapisserie an der Universität für Angewandte Kunst Wien.